2014 als Zäsur? Streitkräfteentwicklung in der NATO

Diese CSS-Studie von Niklas Masuhr untersucht die strategischen und operativen Anpassungsmassnahmen der Landstreitkräfte der USA, des Vereinigten Königreichs, Frankreichs, Polens und Deutschlands gegenüber Russland seit 2014. Die Analyse zeigt, dass der politische und historische Kontext eine vergleichsweise starke Triebfeder für die Streitkräfteentwicklungen darstellt, wie auch das jeweilige Bedrohungs-​und Konfliktbild.

von Christoph Elhardt
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Zur Studie

Die Vorbereitung auf den nächsten Krieg ist der Kern militärischer Planung. Das bewusste Vergessen früherer Erfahrungen ist oft Teil dieser Planungsprozesse. So «vergass» die U.S. Army nach dem Vietnamkrieg ihre dort errungenen Erkenntnisse über die Aufstandsbekämpfung – und musste sich diese einige Jahrzehnte später im Irak und in Afghanistan mühsam wieder aneignen.1 Dieses Beispiel illustriert, dass militärische Organisationen Wetten darüber abschliessen, welche Lektionen für welche zukünftigen Einsätze erhalten werden müssen. Die Streitkräfte der USA und ihrer Verbündeten befinden sich aktuell in einer solchen Lage. Der Afghanistaneinsatz ist in seiner Schlussphase und mit ihm scheint der Appetit für gross angelegte Stabilisierungsmissionen vorerst zu schwinden. Seit 2014 konfrontiert Russlands Militär die NATO zudem wieder mit einer wachsenden Herausforderung, die auf den ersten Blick Rückgriffe auf den Kalten Krieg nahelegt – was teilweise zutrifft, allerdings angesichts gewandelter militärischer Rahmenbedingungen zu kurz greift.

Die Absicht dieser Studie ist es, militärische Anpassungsmuster und -dynamiken aus der Perspektive der NATO und ihrer Mitglieder zu betrachten und zu analysieren. Das Ziel ist, ein nuanciertes Bild des aktuellen Planungs- und Fähigkeitsstands ausgewählter NATO-Streitkräfte zu zeichnen. Das Schwergewicht der Analyse liegt dabei auf den strategischen und operativen Ebenen von Bodentruppen.

Drei zentrale Fragen werden untersucht:

1. Welche strategischen Anpassungen sind im Bündnis und in den einzelnen Mitgliedstaaten feststellbar?

2. Welche Anpassungen sind mit Blick auf Doktrin und Streitkräftestruktur ersichtlich?

3. Inwieweit kann die Annexion der Krim als Zäsur verstanden werden und welche Anpassungen lassen sich klar auf den Ukrainekonflikt zurückführen?

Auf konzeptueller Ebene behandelt diese Studie die Auswirkungen von Analysen und Interpretationen vergangener (und laufender) Konflikte auf a) Streitkräftestruktur (force structure), b) Streitkräfteauslegung (force design) sowie c) Streitkräfteaufstellung (force posture) von militärischen Kräften.2 Im Mittelpunkt stehen die Dilemmata, mit denen Russlands wiedererstarktes Militär die NATO und ihre Mitglieder insbesondere seit 2014 konfrontiert – sowie die Versuche ausgewählter westlicher Akteure, hierauf Antworten zu finden. Der Fokus liegt hier auf Landstreitkräften. See- und Luftstreitkräfte werden in der Untersuchung berücksichtigt, wo der Kontext dies erfordert. Aus der gewählten strategisch-operativen Linse ergibt sich, dass vor allem traditionell anmutende Instrumente militärischer Macht – Panzerdivisionen, Luftlandeeinheiten und Bewegungskrieg – behandelt werden, während subtilere Mittel – «Trollfarmen», Informationskrieg und Attentate – im Hintergrund stehen. Zudem werden Entwicklungen im Bereich der Aufstandsbekämpfung und Stabilisierung lediglich indirekt in den Blick genommen, und die nukleare Dimension weitgehend ausgeklammert.

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