Sicherheit 2023: Aussen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitische Meinungsbildung im Trend

Die Militärakademie an der ETH Zürich und das Center for Security Studies der ETH Zürich haben die Studie «Sicherheit 2023» veröffentlicht. Die seit 1999 jährlich erscheinende Studie dient der Ermittlung langfristiger Trends in der aussen-​, sicherheits-​ und verteidigungspolitischen Meinungsbildung in der Schweiz.

von Giuliano Catalano

In dieser Kurzzusammenfassung werden die Resultate der im Januar 2023 im Rahmen der Studie «Sicherheit 2023» erhobenen Fragen präsentiert und den Resultaten der Studie «Sicherheit 2022» (Januar 2022) gegenübergestellt. Teilweise wird auch auf eine Zusatzbefragung im Juni 2022 Bezug genommen.

Zukunftserwartung und allgemeine Sicherheit: Schweizerinnen und Schweizer blicken im Januar 2023 signifikant weniger optimistisch in die Zukunft als noch im Januar 2022. 81% (–5 Prozentpunkte; Pp) sehen die Zukunft der Schweiz optimistisch und 24% (–7Pp) sehen die Zukunft der Welt optimistisch. Diese Reduktion des Optimismus kann mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Ausbruch des Krieges in der Ukraine vom Februar 2022 zurückgeführt werden. Trotz des Krieges ist das allgemeine Sicherheitsempfinden in der Bevölkerung jedoch ungebremst hoch. Im Januar 2023 fühlen sich 94% der Befragten sicher, was den Werten aus den Befragungen im Januar 2022 (±0Pp) und im Juni 2022 (±0Pp) entspricht.

Vertrauen in Institutionen und ausgewählte Staaten: Das hohe Vertrauen in Institutionen setzt sich fort. Keine der erfragten Institutionen hat im Vergleich zum vergangenen Jahr an Vertrauen eingebüsst. Im Vergleich zum vergangenen Jahr (Januar 2022) haben nur die politischen Parteien an Vertrauen gewonnen (+0.2). Das Vertrauen in ausgewählte Staaten wurde letztmals im Jahr 2019 gemessen. Nach wie vor geniessen die Nachbarsstaaten der Schweiz ein hohes Vertrauen. Den USA wird deutlich mehr vertraut als vor vier Jahren. Besonders auffällig ist der zum Teil deutliche Vertrauensverlust in autoritär regierte Staaten (China, Iran, Nordkorea, Russland).

Bedrohungen aus Sicht der Bevölkerung: In der Studie «Sicherheit 2023» wurde erstmals mittels einer offenen Frage nach den drei grössten Bedrohungen der Schweiz gefragt. Die Stimmberechtigten sehen überwiegend Kriege und Konflikte (42% aller Befragten), Klimawandel und Umweltzerstörung (34%) und Finanz- und Wirtschaftskrisen (31%) als die aktuell grössten Bedrohungen für die Schweiz. Alle weiteren erwähnten Themen klassieren mit unter 15% aller Befragten weit dahinter.

Aussen- und Sicherheitspolitik: Unverändert werden rein wirtschaftliche Beziehungen mit der EU gewünscht und ein Beitritt zur EU wird nur von einer Minderheit gefordert. Weiche Kooperationen (Konfliktvermittlung und Entwicklungshilfe) werden unverändert von einer Mehrheit befürwortet. Ein stärkeres Engagement der Schweiz für UNO-Anliegen erfährt wieder mehr Zuspruch als im Juni 2022. Eine knappe Mehrheit (55%, +10Pp gegenüber Januar 2021) der Befragten fordert eine NATO-Annäherung, während ein Beitritt weiterhin ein Minderheitsanliegen bleibt. Eine knappe Mehrheit ist der Meinung, dass die Neutralität es zulässt, dass die Schweiz ihre militärische Verteidigung mit der NATO planen kann. Die Zustimmungsraten der militärischen und nationalen Autonomie sind signifikant gesunken. Es zeigt sich 2023, dass Schweizerinnen und Schweizer öffnungs- und kooperationsbereiter als in den Vorjahren sind.

Neutralität: Gegenüber Januar 2022 wird das Neutralitätsprinzip zwar weniger stark befürwortet, erhält aber mit 91% (–6 Pp) weiterhin sehr hohen Zuspruch. Während die «differenzielle» Neutralität – bei politischen Konflikten klar Stellung beziehen, bei militärischen Konflikten aber neutral bleiben – unverändert von einer knappen Mehrheit unterstützt wird, ist das Bedürfnis, auch eine klare Stellungnahme bei militärischen Konflikten im Ausland abzugeben, von 18% (im Januar 2021) auf 27% gestiegen. Obschon die Unterstützung für die Solidaritäts- und Identitätsfunktion gesunken ist, bleibt für die Mehrheit der Bevölkerung die Neutralität ein vorrangiges Ziel der Aussenpolitik und ein Wert an sich. Während die Zustimmung zur sicherheitspolitischen Funktion der Neutralität innerhalb eines Jahres deutlich von 69% auf 55% gesunken ist, wird der Schutzwirkung eines militärischen Bündnisses in Europa stärker zugestimmt und von einem guten Drittel gefordert. Insgesamt bewerten Schweizerinnen und Schweizer die Neutralität ähnlich kritisch wie bereits im Juni 2022.

Wichtigkeit von Merkmalen der Neutralität: Die letztmalig 2014 erhobenen sieben Merkmale der Neutralität werden von einer Bevölkerungsmehrheit als wichtig erachtet. Sehr wichtig ist den Schweizerinnen und Schweizern vor allem, dass die Neutralität international anerkannt wird, einen humanitären Gedanken aufweist und ein Teil der schweizerischen Identität ist. Am wenigsten wichtig ist das Merkmal, dass die Neutralität bewaffnet ist.

Sanktionen gegenüber Russland: Im Vergleich zum Juni 2022 bleiben im Januar 2023 die Einstellungen bezüglich der Schweizer Sanktionen gegenüber Russland unverändert. Drei Viertel der Befragten sind von der Richtigkeit der Sanktionen überzeugt und sehen zu 70% eine Vereinbarkeit mit der Neutralität. Rund ein Drittel teilt die Meinung, dass die Schweiz ihre Guten Dienste infolge der Sanktionen nicht mehr anbieten kann.

Verteidigungspolitik: Gegenüber Januar 2022 wollen Schweizerinnen und Schweizer, dass die Verteidigungsfähigkeit der Armee gestärkt wird. So findet eine deutliche Mehrheit, dass die Armee vollständig ausgerüstet sein sollte und 78% (+3Pp) empfinden die Armee als notwendig. Die Meinung, dass die Schweiz zu wenig Geld für die Verteidigung ausgibt, ist aktuell verbreiteter als bei der Befragung im Januar 2022 – also vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Gegenüber der Befragung im Juni 2022 ist die Unterstützung für eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben hingegen gesunken. Schweizerinnen und Schweizer stehen unverändert klar hinter der Wehrpflicht und dem Milizprinzip und zeigen sich zufrieden mit der Leistung der Armee.

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