Ukraine: Meinungsumfragen in Kriegszeiten
Im Kern jedes Konflikts liegt ein Paradoxon. Die politischen Eliten behaupten, im Namen des Volkes zu handeln. Gewalthandlungen machen jedoch die Erfassung der öffentlichen Meinung unglaublich schwierig – derzeit zu sehen in der Ukraine. Wie zuverlässig sind die Umfragen angesichts der durch den Krieg bedingten Herausforderungen?
In allen Kriegen behaupten politische und militärische Führungsfiguren – ob staatliches Militär oder zersplitterte Rebellennetzwerke –, im Namen ihrer Anhängerschaft zu handeln. Sie rechtfertigen und legitimieren ihre Handlungen, die Anwendung von Gewalt und ihre Kriegsziele, in dem sie sich verstärkt auf den Willen ihrer Wählerschaft berufen. In der vom Krieg gezeichneten Ukraine ist dies heute deutlich sichtbar.
Obwohl die Regimes der Ukraine und Russlands grundlegend verschieden sind, behaupten die politischen Eliten beider Seiten, die Ziele, die sie verfolgen, entsprächen dem Willen des ukrainischen Volkes. So sagte Präsident Wladimir Putin in seiner berühmt-berüchtigten Morgenrede vom 21. Februar 2022, die «Bestrebungen, die Gefühle und der Schmerz» der Menschen in der Ukraine hätten Russland veranlasst, die Unabhängigkeit der sogenannten Volksrepubliken im Donbass anzuerkennen.
Dies stellt die internationale Gemeinschaft, politische Entscheidungstragende und Fachpersonen vor eine grosse Herausforderung. Wie können wir wissen, was das ukrainische Volk wirklich will? Wie zuverlässig können in Konfliktzeiten Daten zur öffentlichen Meinung gesammelt werden? Wie können wir, die Beobachtenden, widersprüchliche Behauptungen in Einklang bringen?
Was die ukrainische Bevölkerung will, wird in den nächsten Monaten und Jahren wohl noch deutlicher in den Fokus rücken, da sie und ihre westlichen Unterstützer langsam kriegsmüde werden. Die Umfragen während des Krieges zeigen eine weiterhin hohe Unterstützung für den weiteren Widerstand gegen die russischen Aggressionen. Laut jüngsten Befragungen nimmt diese Zustimmung jedoch ab. Dies war zu erwarten, da die menschlichen Kosten des Krieges täglich steigen.