ETH Tagung zur Sicherheitspolitik: Religion in der Schweizer Friedensförderung

Am Freitag, 25. Januar 2019 fand am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich eine ETH Tagung zum Thema "Religion in der Schweizer Friedensförderung" statt. Nach einer Eröffnungsrede von Shamil Idriss diskutierten drei Panels über Konzepte und Prinzipien in der Schweizer Friedensförderung zu Religion und Konflikt, vergleichende Fallstudien des Schweizer Engagements zu Religion und Konflikt sowie Herausforderungen und offene Fragen für die Zukunft.

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Shamil Idris während seiner Eröffnungsrede. 

Die Eröffnungsrede gab einen Überblick über die Verknüpfung von Religion, Konflikt und Friedensförderung. Zudem wurde die Verbindung zu globalen Trends der Gegenwart, wie beispielweise schwache, zusammenbrechende Staaten und Gruppen, die transnational aktiv sind, hergestellt. Akteure der Privatwirtschaft, militärische Akteure und religiöse Gemeinschaften seien bis anhin in friedensfördernden Bemühungen vernachlässigt worden – letztere aufgrund des säkularen Bias vieler multilateraler Organisationen, Staaten und NGOs. Es herrsche ein «religiöser Analphabetismus». Gerade hinsichtlich der Prävention von gewalttätigem Extremismus (PVE) seien in den letzten Jahren schlechte und ineffektive Politikbeschlüsse getroffen worden. Akteure der Friedensförderung seien selten «ahead of the trends», sondern würden diesen oft hinterherrennen.

Konfliktlösungsansätze sollten inklusiv und praktisch orientiert sein. Um langfristige Veränderungen herbeizuführen, bedürfe es institutioneller Veränderungen sowie einer Verschiebung von Normen und lokaler Kapazitätenbildung für Friedensförderung. Der Eröffnungsredner verwies auf die Diskrepanz zwischen dem benötigten Zeitraum für strukturelle Veränderungen und Policy-Bemühungen, die meist weder lokal noch über einen längeren Zeitraum angelegt seien. Die Schweiz könne hier nicht nur durch die Übernahme von Kosten und ihre «Guten Dienste» einen Beitrag leisten, sondern auch durch die offizielle Anerkennung von Peacebuilding Champions.

Panel 1: Schweizer Friedensförderung zu Religion und Konflikt: Konzepte und Prinzipien

Das erste Panel befasste sich mit der Strategie des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) zu Friedensförderung in Konflikten, in denen Religion eine Rolle spielt. Die Schweiz engagierte die als «schwierig» geltenden religiösen Akteure in Pilotinitiativen der Konflikttransformation. Basierend auf den Pilotinitiativen und der  schweizerischen Erfahrung formalisierte die Abteilung Menschliche Sicherheit (AMS) des EDA Ende 2004 einen eigenen Themenbereich, Religion, Politik, Konflikte (RPK), mit dem Credo, dass die Schweiz mit allen zum Dialog bereiten Gruppierungen zusammenarbeiten kann. Ein religionsneutrales Vorgehen, eine inklusive Herangehensweise an religiös motivierte politische Akteure, das «right-sizing» von Religion (die Rolle von Religion weder zu über- noch zu unterschätzen), sowie eine praktisch orientierte Herangehensweise sind die Eckpfeiler des Schweizerischen Friedensengagement.

Der zweite Input des Panels bot Einblicke in die historischen Ursprünge und heutigen Gegebenheiten des Schweizer Friedensförderungsansatzes. Vier Elemente der politischen Kultur sind für die Lösung von Konflikten mit religiösen Aspekten besonders wichtig: Die direkte Demokratie, das Subsidiaritätsprinzip, das Konkordanzprinzip sowie die Souveränität der Kantone, welche im Föderalismus mündete. Diese vier miteinander verbundenen Elemente haben die dialogische, pragmatische, partizipative und konsensorientierte Herangehensweise der Schweiz an (religiöse) Differenzen geprägt. Die Reformationskriege, der Sonderbundskrieg von 1847 und der Kulturkampf (1870-1885) dienten als drei Beispiele der Schweizer Geschichte, die verdeutlichen, wie wichtig es ist, Konflikte auf möglichst lokaler Ebene mit Fokus auf die pragmatischen und praktischen Aspekte zu bearbeiten.

Der anschliessende Kommentar hob hervor, wie schwierig der Umgang mit Kennzeichnungen wie «religiöse Konflikte» ist, weil diese nur wenig über die tatsächliche Rolle von Religion im Konflikt aussagen. Es mache einen Unterschied, ob sich die Konfliktlinien mit den religiösen Identitäten deckten (Bsp. Nordirland oder Bosnien), oder ob es auch bei den Konfliktthemen um religiös geprägte Inhalte gehe. Es gelte gerade auch sozioökonomische Bedingungen als Konfliktursachen zu beachten.

Panel 2: Das Schweizer Engagement zu Religion und Konflikt: Vergleichende Fallstudien

Das zweite Panel widmete sich drei friedensfördernden Projekten aus unterschiedlichen Teilen der Welt (Kosovo, Kirgistan und Südthailand), welche zudem unterschiedliche Stadien der Friedensförderung repräsentierten (Prävention, Inklusion während der Friedensverhandlungen, Normalisierung nach einem Friedensabkommen). Die Projekte gewährten einen Einblick in die Vielfalt an Möglichkeiten der Rolle von Religion in Konflikten.

Im ersten Input wurde die Arbeit des Liaison und Monitoring Teams (LMT) im Einsatz der KFOR SWISSCOY in Mitrovica vorgestellt. Die Aufgabe der LMTs besteht darin, durch Gespräche mit der Bevölkerung und den Behörden Informationen zu sammeln und dem Kommandanten der KFOR weiterzuleiten, der diese Meldungen unter anderem als Basis für operationelle Entscheide der Friedenserhaltung nutzt. Für die LMTs ist Religion vor allem bei der Begegnung mit der Lokalbevölkerung von praktischer Relevanz (Schuhe ausziehen bei Hausbesuchen, Nicht-Störung an religiösen Festtagen, etc.). Verhaltensregeln, auch in Bezug auf religiöse Akteure, werden in der PSO Basisausbildung unterrichtet. Good Practices beinhaltet das unparteiliche Auftreten, die klare Definition der Rolle vor Ort der LMTs (durch Tragen einer Uniform) sowie die Nähe zur Lokalbevölkerung (Einkaufen in Uniform, Wohnhaus in der Stadt, etc.).

Im zweiten Vortrag ging es um das Youth United for Future Projekt in Südkirgistan. Mit diesem Projekt sollen Jugendliche in der Gesellschaft gestärkt, ein Diskurs über Religion und Demokratie auf Gemeindeebene zwischen Generationen ermöglicht und die Resilienz der Jugendlichen gegenüber extremistischer Rhetorik unterstützt werden. Religiöse Ratlosigkeit sei im post-sowjetischen Kirgistan eines der Kernprobleme, besonders unter jungen Leuten: Die jüngere Generation vermisse religiöse Führung, viele suchen in Moscheen, Madrasahs (Koranschulen) und im Internet nach einer Antwort darauf, was es heisst, ein guter Muslim bzw. eine gute Muslima zu sein. Konfliktsensibles Arbeiten und die Zusammenarbeit mit Jugendlichen an konkreten Projekten, wie der Integration in den Arbeitsmarkt, waren wichtige Bestandteile der Herangehensweise in der Fallstudie. Eine Herausforderung bleibt die Inklusion von Hardlinern und die Zusammenarbeit mit Frauen.

Im letzten Vortrag des Panels wurde das Intra-Buddhistische Dialogprojekt in Südthailand präsentiert. Seit 2004 leidet der Süden Thailands unter einem bewaffneten Konflikt, der bis heute über 6000 Menschen das Leben kostete. Die grosse Mehrheit der thailändischen Bevölkerung sind ethnische Thai und gehören dem Theravada-Buddhismus an, die drei Südprovinzen hingegen werden überwiegend von ethnisch malaiischen Muslimen bewohnt. Religion wird immer mehr zu einem trennenden Faktor und religiös-ethnisch konstruierte Identitäten spielen eine wichtige Rolle als Abgrenzungsmerkmal im Konflikt. Ziel des intra-buddhistischen Dialogprojekts ist es, einen Raum für führende buddhistische Akteure des Zentrums und des Südens zu schaffen, sodass diese sich gemeinsam für ein friedliches Zusammenleben zwischen Buddhisten und Muslimen und eine gewaltfreie Transformation des Konfliktes im Süden einsetzen. Der Einbezug von moderaten und radikalen Vertretern und Vertreterinnen bleibt aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen über den Dialog eine Herausforderung, ebenso die Etablierung eines ähnlichen Dialogprojekts auf muslimischer Seite.

Panel 3: Wege in die Zukunft: Herausforderungen und offene Fragen

Im abschliessenden Panel wurden alte und neue Herausforderungen für die Schweizer Friedenspolitik im Bereich Religion und Konflikt diskutiert. Als zentrale Herausforderungen wurde die «Scheuheit in Bezug auf Religion» der Schweizer Öffentlichkeit und des säkularen Schweizer Staates generell genannt. Religiöse Friedensförderung (faith-based peacemaking) sei kaum thematisiert worden und Inputs von konfessionellen Organisationen, wie HEKS oder Mission 21, die in der Entwicklungs- und Friedensarbeit mit eigener religiöser Identität aktiv sind, wären gute Ergänzungen im Programm der Arbeitstagung gewesen.

Während der Arbeitstagung kristallisierte sich heraus, dass Mitarbeitende des Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) in Auslandeinsätzen mit Religion in Kontakt kommen, aber es innerhalb des Departements keine allgemeinen Richtlinien zum Umgang mit Religion gibt. Die Meinungen zur Notwendigkeit eines Leitfadens zur Sensitivität gegenüber Religion in militärischen Operationen gingen auseinander. Weiter thematisiert wurde die entscheidende Rolle des Parlaments, gerade in der Budgetierung von militärischen Friedenseinsätzen, sowie eine generelle Einschätzung des Interesses des Parlaments hinsichtlich des Schweizer Friedensengagements im Ausland.

Weitere Informationen zum Culture and Religion in Mediation program (CARIM)

Weiterführende Literatur:

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